Erstellt von Gerd-Thomas | |   Tauchberichte

Druckkammerversorgung in NRW

Ein Situationsbericht von Gerd-Thomas.

Hinweis: Dieser Bericht wird aktualisiert und ergänzt, sobald es neue Entwicklungen gibt; schaut also immer mal wieder hinein! (Updates am Ende des Berichts)

Derzeitiger Sachstand: August 2016

„Wenn wirklich was passiert, ab inne Druckkammer...“

So denken wir doch alle…

Wir alle gehen aufgrund unserer soliden Ausbildung und unserer individuellen Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen beim Tauchen selbstverständlich und grundsätzlich berechtigt davon aus, dass wir niemals einen Tauchunfall erleiden werden - und schon gar nicht einen solch schweren, der eine Druckkammerbehandlung erforderlich werden lässt. Glücklicherweise entspricht das ja bisher im TSC auch der Realität. Und falls doch, wiegen wir uns als VDST-Taucher in der Sicherheit, kurzfristig in einer nahegelegenen Druckkammer behandelt zu werden, denn wir sind ja schließlich über den VDST entsprechend versichert.

Diese Annahme ist leider falsch – zumindest, wenn der Tauchunfall in NRW passieren sollte!

Messinghausen, Rursee, Blausteinsee und die Talsperren des Sauerlandes sind durchaus so tief, dass schwere Deko-Unfälle theoretisch möglich sind.

Es gibt zwar in NRW eine nennenswerte Anzahl von Druckkammern, z.B. an den Kliniken in Düsseldorf, Aachen, Gelsenkirchen und Dortmund (und sogar in Wuppertal-Heckinghausen gibt es eine private Druckkammer), aber keine davon verfügt über eine garantierte 24/7-Bereitschaft mit intensivmedizinischer Behandlungsmöglichkeit! Und das im mit ca. 18 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesland – und dem mit ca. 17.000 Mitgliedern zahlenmäßig stärksten Landesverband im VDST! Zwar versuchen die Druckkammerbetreiber, die Notfallversorgung im Rahmen ihrer Möglichkeiten sicherzustellen, aber wirklich und unbedingt verlässlich ist das nicht, da entsprechend geschultes Personal in ausreichender Zahl fehlt. (Die Kammer am Klinikum in Düsseldorf nimmt beispielsweise CO-Unfallopfer auch am Wochenende auf, behandelt sie aber erst ab Montagmorgen, wenn das Druckkammerpersonal wieder im Dienst ist…) Und wir Taucher gehen unserem Hobby ja üblicherweise an den Wochenenden nach, und gerade dann sind die Kammern nicht zuverlässig besetzt.

Wenn die VDST-Hotline-Ärzte einen Anruf wegen eines Tauchunfalls bekommen, sind sie regelmäßig zunächst erleichtert, wenn dieser sich z.B. in Spanien, Ägypten, auf den Philippinen oder Malediven ereignete und eben nicht in NRW, denn im Ausland ist – so paradox das klingt – die Versorgung mit Druckkammern deutlich besser als hierzulande!

Ich hatte zwar vor einigen Jahren auf einer TL-Fortbildung schon einmal von der Verschlechterung der Versorgung mit Druckkammern in NRW gehört, als die Schließung der Kammer am St-Josef-Krankenhaus in Duisburg beklagt wurde, wurde aber erst Anfang Dezember 2015 durch einen Bericht in der „Aktuellen Stunde“ im WDR-Fernsehen wieder auf diese Situation aufmerksam.

Da wurde von einem Fall aus Duisburg berichtet, als eine Frau an einem Sonntagabend eine Kohlenmonoxid(CO)-Vergiftung erlitt, weil sie in ihrer Badewanne unter einer defekten Gastherme lag. Eine Behandlung in einer Druckkammer war zwingend erforderlich. Weil in NRW keine einsatzbereite Druckkammer zur Verfügung stand, musste sie per Hubschrauber nach Wiesbaden transportiert werden, denn das Land Hessen hat durch einen sog. „Versorgungsauftrag“ sichergestellt, dass es dort eine 24/7-Versorgung mit einer Druckkammer gibt. Die Frau überlebte.

Dieser Fall hatte mich motiviert, im Dezember 2015 zunächst an die „Aktuelle Stunde“ des WDR und kurz danach auch an das NRW-Gesundheitsministerium (MGEPA) zu schreiben und bei diesem um eine Schilderung der Lage bzw. Verbesserung der Situation zu bitten – für uns Taucher, aber auch für potentielle CO-Unfallopfer, zu denen wir alle jederzeit auch ohne zu tauchen werden können. Im Januar 2016 erhielt ich die enttäuschende Antwort, das Ministerium sehe sich nicht als primär zuständig, moderiere bestenfalls, denn eine Lösung könne nur zwischen einem potentiellen Klinikum und den Krankenkassen als Kostenträger gefunden werden (sinngemäßes Zitat).

Ich trug die Situation daraufhin an den Tauchsportverband NRW e.V. heran, der das Thema auf einer Vorstandssitzung besprach. Ergebnis: Verbandsarzt Dr. Karl-Heinz (Kalli) Schmitz solle sich der Sache federführend annehmen. Im direkten Kontakt mit ihm stieß ich glücklicherweise auf sehr offene Ohren, doch er war realistischerweise der Ansicht, dass sich für die paar Taucher in NRW in der Landespolitik wohl niemand wirklich interessiere.

Daher rief er mit großem Engagement die sog. „Interessengemeinschaft HBO NRW“ ins Leben, der unter Federführung des TSV NRW e.V. mehrere Rettungsdienste, Feuerwehren, die DLRG, Wasserwacht, das THW, die Druckkammer in Aachen und weitere Institutionen, Kliniken und leitende Notärzte angehören, um die Angelegenheit in größerem Rahmen mit potentiell mehr „Gehör“ aufzuziehen, denn diesen Organisationen gehört zusammen eine mindestens sechsstellige Zahl an Mitgliedern an, und zumindest Feuerwehren und Rettungsdienste sind ja auch weitgehend frei von Lobbyisten-Verdacht. Zu einem ersten Informationsaustausch trafen wir uns im April 2016 in Aachen an der Druckkammer.

Wichtigstes Ergebnis dieses Treffes war, dass alle beteiligten Verbände und Institutionen ein gemeinsames Schreiben an das NRW-Gesundheitsministerium (MGEPA) unter Federführung des TSV NRW e.V. richten und erneut um eine Verbesserung der Versorgung mit Druckkammern bitten wollten, was im April 2016 auch geschah. Leider war die Antwort des Ministeriums aus dem Juni 2016 ähnlich inhaltsarm wie die auf mein Schreiben aus dem Dezember 2015: Eine Lösung könne es nur zwischen Kliniken und Krankenkassen geben, man sei im Gespräch mit Kliniken, man rege an, prüfe, lote aus, sammele Informationen usw.

Ja – und wieso geht das in Hessen??? 

Hessen und NRW unterscheiden sich ja nicht wie Deutschland und der Jemen…

Daher habe ich im Juli 2016 beim Hessischen Gesundheitsministerium angefragt, wie die das mit dem Versorgungsauftrag hinbekommen haben. Antwort bisher (15.8.): Leider keine! Merkwürdig, ich hatte doch angenommen, die warten dort nur auf eine Anfrage eines Bürgers aus NRW… ;-)) (siehe dazu Update 7.11.2016)

Darüber hinaus habe ich dann noch einmal weiter im Internet recherchiert und festgestellt, dass es bereits vor zwei Jahren (!), im August 2014, im Landtag eine sog. „Kleine Anfrage“ eines Abgeordneten in genau dieser Sache an die Landesregierung gab, und in der damaligen Antwort des Ministeriums fanden sich teilweise wortgleiche Formulierungen wie in den Antwortschreiben an mich bzw. die IG!!

Die Anfrage:

https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMD16/6525&quelle=alle

Die Antwort des Gesundheitsministeriums:

https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMD16/6801&quelle=alle

Schlimmer noch: Ich fand zudem im Netz einen Presseartikel in der BLÖD-Zeitung, nach dem das MGEPA schon im Februar 2012, also vor viereinhalb Jahren (!!) , Gespräche führte, um die Versorgung mit Druckkammern in NRW zu verbessern. Wer’s nachlesen mag:

http://www.bild.de/regional/ruhrgebiet/lebensretter-druckkammer--nrw-prueft-groesseres-22777902.bild.html

Die Druckkammer in Düsseldorf ist mittlerweile nicht mehr 24 Stunden einsatzbereit!

Da stellt sich doch die Frage: Was machen die eigentlich den ganzen Tag??? Sicher gibt es auch im Gesundheitsministerium andere, wahrscheinlich auch drängendere Aufgaben, und niemand erwartet eine Lösung innerhalb von vier Wochen, aber wenn seit deutlich mehr als vier Jahren eine Lösung gesucht wird, wird man ja wohl irgendwann mal mit einem Ergebnis rechnen dürfen. Antwort: Sie halten sich raus, weil sie sich als nicht zuständig ansehen (s.o.u.u.). Aber wer ist denn zumindest für die Schaffung der Rahmenbedingungen der Gesundheits- und Notfallversorgung in NRW zuständig, wenn nicht das Gesundheitsministerium?? – Zugegeben: ich bin (gesundheits-)politisch ein völliger Laie und mag manches falsch und/oder zu einfach sehen, aber ein Abschieben der Verantwortung an Kliniken und Krankenkassen scheint mir die Sache doch unzulässig zu vereinfachen…

Der eingangs geschilderte Fall aus Duisburg war übrigens kein Einzelfall. Es gibt zahlreiche Meldungen in der jüngeren Vergangenheit aus NRW über notwendige Druckkammerbehandlungen nach CO-Unfällen aus NRW. Besonders tragisch ist, dass es eine dem Duisburger Unfall nahezu völlig vergleichbare Situation in Wuppertal-Heckinghausen im Februar 2016 gab: Wieder eine Frau in der Badewanne unter einer defekten Gastherme mit CO-Austritt und folgender Bewusstlosigkeit am Sonntagabend, wieder keine Druckkammer in NRW einsatzbereit, wieder ein Transport nach Wiesbaden, diesmal jedoch unter nennenswertem Zeitverlust mit dem Rettungswagen auf dem Landweg, da ein Hubschraubereinsatz witterungsbedingt nicht möglich war – und das nur 300 m entfernt von einer Druckkammer in Heckinghausen ohne Einsatzbereitschaft… Die Frau verstarb schließlich!

Diesen und weitere Fälle findet ihr hier:

http://www.wz.de/lokales/wuppertal/stadtteile/barmen-ost/drei-verletzte-wegen-defekter-gastherme-1.2113158

http://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/zehn-personen-bei-co-unfall-verletzt-100.html

http://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/kohlenmonoxid-luedenscheid-100.html

Weil Geduld nicht meine Stärke ist (und die IG sich bei jedem Schreiben mit allen Mitgliedern abstimmen muss, was zeitaufwändig und nicht immer ganz einfach ist), habe ich am 20.7.16 erneut an das Gesundheitsministerium geschrieben und um einen Zwischenbericht gebeten. Diesen habe ich am 4.8. erhalten, mit sinngemäß folgendem Inhalt (meine Kommentare kursiv):

- Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen (dauert ja auch erst mindestens viereinhalb Jahre…)

- eine Reihe weiterer Gespräche wird zeitnah geführt (immerhin…)

- eine Standortvorentscheidung ist noch nicht getroffen worden (wundert in diesem Zusammenhang nicht!)

- das Ministerium beteiligt sich nicht an der Finanzierung und greift daher bewusst nicht in die Gespräche zwischen Kassen und Betreibern ein (sie machen es sich eben einfach.)

- in Hessen gäbe es auch keine Kostenbeteiligung des dortigen Ministeriums (aber dort hat es zumindest eine Lösung gegeben!)

- weil derzeit intensive Gespräche geführt würden, sieht das MGEPA keinen Anlass, auf eine Verfahrensbeschleunigung hinzuwirken und bittet daher um Geduld. (Kann also noch dauern…)

Wie gesagt… Geduld ist nicht meine Stärke…

Das NRW-Gesundheitsministerium hält sich also weiterhin aus der Sache raus, weil es sich nicht für primär zuständig hält, aber immerhin scheint sich seit kurzem also zwischen Kassen und Kliniken konkret etwas zu bewegen. Falls das nicht kurz- bis mittelfristig zu greifbaren Ergebnissen führt, habe ich weitere Maßnahmen und Nadelstiche „im petto“. Auch die IG HBO NRW beobachtet die Entwicklung konstant. Ich bleibe dran und werde hier informieren, denn die Sache betrifft uns alle– nicht nur als Taucher, sondern auch als mögliche Opfer eines CO-Unfalles…

Ich nehme übrigens sehr gerne eure Kommentare und Anregungen in dieser Sache entgegen.

gth